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Von Globalisierung und Politischer Ökonomie: der wahre Kern des Populismus

15.04.2020

„Jede Politische Ökonomie ist auf ihre ganz eigene Art unglücklich“ (Manow 2018: 23). Mit dieser Übertragung des einleitenden Satzes von Tolstois Epos Anna Karenina in den sozialwissenschaftlichen Kontext, kann einer der zentralen Gedanken aus Philip Manows 2018 erschienenem Buch Die Politische Ökonomie des Populismus zusammengefasst werden.

Von Globalisierung und Politischer Ökonomie: der wahre Kern des Populismus
Source: Herder3 (Bild-CC-by-sa/3.0) https://en.wikipedia.org/wiki/File:Antiglob_rostock_2_6_07.jpg

Jede Nationalökonomie ist vor unterschiedliche Probleme gestellt und ruft dementsprechend unterschiedliche Formen des Protests hervor – das besagt das Anna-Karenina-Prinzip. Dementsprechend existieren verschiedene Kapitalismen, die verschiedene Populismen zur Folge haben.

Die Ausgangslage

Das Phänomen des Populismus, sowohl von rechts wie von links, hat in den letzten Jahren zunehmend an Brisanz gewonnen. Parallel dazu versuchen WissenschaftlerInnen und TheoretikerInnen aus den verschiedensten Bereichen Erklärungen für diese Entwicklung heranzuziehen. Mit Blick auf die EU-Wahlen Ende Mai, die einen deutlichen Anstieg populistischer Parteien – vor allem von rechts – versprechen, gewinnt die Populismus-Debatte erneut an Aktualität. Die westlichen Demokratien fürchten, ihr nach dem Zweiten Weltkrieg mühsam erarbeiteter liberaler Konsens könnte zerbrechen. Manow leistet nun einen weiteren Beitrag zu dieser breiten Debatte um das gesellschaftliche Krisensymptom, jedoch um auf „gravierende Mängel“ (9) innerhalb dieser zu reagieren. Seine Kritik zielt dabei besonders auf die einseitige Auseinandersetzung mit der Thematik, die Populismus ausschließlich aus kulturalistischer Sicht zu erklären versucht. Dem versucht Manow mit dem Konzept einer international vergleichenden politischen Ökonomie des Populismus entgegenzuwirken.

Manows Kernthese lautet, dass Populismus eine Protestreaktion auf die Globalisierung sei. Genauer weist er nach, dass die südlichen Länder Europas verstärkt linkspopulistisch wählen, wie Syriza in Griechenland oder Podemos in Spanien, die nördlichen Länder rechtspopulistisch, wie die deutsche AfD oder die Schweden-Demokraten. In der Konsequenz hieße das, dass Länder mit florierenden Wohlfahrtsstaaten eher migrationsfeindlich sind als Länder mit einem niedrigen sozialstaatlichen Niveau. Es ergibt sich ein Paradox: Ein gut ausgebauter Sozialstaat und eine hohe Beschäftigungsquote stehen einem stark rechtspopulistischen Zuspruch gegenüber.

Dani Rodriks Globalisierungsparadox

Als politische Ökonomie begreift Manow das Zusammenspiel von nationalstaatlicher Organisation und der Regulierung kapitalistischer Verhältnisse oder anders formuliert, den Zusammenhang von Wirtschaft und Herrschaft. Sein Verständnis von Populismus orientiert sich dabei an der Definition des Harvard Ökonomen Dani Rodrik, der Populismus als eine Reaktion auf die Globalisierung beschreibt und der die problematische Beziehung von  Globalisierung und Demokratie bereits ausführlich in seinem Hauptwerk Das Globalisierungsparadox – Die Demokratie und die Zukunft der Weltwirtschaft von 2011  erörtert hat. Diese richtet sich im Süden eher gegen den Neoliberalismus, also gegen die Freizügigkeit von Geld und Gütern, im Norden vermehrt gegen Migration, also die Freizügigkeit von Personen (Rodrik: Populism and the economics of globalization, 2018). Als Grund dafür sieht Rodrik ein potentielles Bedrohungsszenario, dem sich die populistischen WählerInnen ausgesetzt sehen. Für Manow entscheidend ist hierbei Rodriks Erkenntnis, dass der Rechtspopulismus genau in den Ländern heute Konjunktur hat, „wo umfangreiche Wohlfahrtsstaaten zuvor die Bedrohung durch die Bewegung von Gütern entschärft haben.“ (ebd.) Schon 2011 schrieb Rodrik, dass die „wirtschaftliche Globalisierung in dieser Phase zum Selbstzweck“ wurde (2011: 19). Er erklärt diese Beobachtung mit der von ihm mitformulierten „Kompensationstheorie der Globalisierung“, die den florierenden Wohlfahrtsstaat vor allem als Versprechen deutet, durch das potentielle Verlierer des Außenhandels ruhig gestellt werden sollen.  Hier wird deutlich, was auch Manow in seinen Analysen als wichtige Beobachtung feststellt: Rechtspopulismus resultiert häufig nicht aus einer bereits bestehenden Tatsache, sondern viel eher aus einer möglichen Bedrohung in der Zukunft.

Erklärungen des Phänomen "Populismus

Es ist nun unter anderem diese Annahme, die Manows Ansatz zur Erklärung des Phänomens Populismus von gegenwärtig populären Thesen unterscheidet. Vor allem mit drei von ihnen setzt sich der Politikwissenschaftler kritisch auseinander: Mit der von Jan-Werner Müller geprägten ‚Standarddefinition‘ des Populismus, mit der typischen ‚Modernisierungsverlierer-These‘ und nicht zuletzt mit der maßgeblich von Wolfgang Merkel zitierten Begründung, dass Populismus auf eine Spaltung der Gesellschaft in KommunitaristInnen und KosmopolitInnen zurückzuführen sei.

Müller versteht Populismus – in deutlicher Abgrenzung zu Rodrik  und Manow – als „Form der Identitätspolitik“, besonders gekennzeichnet durch „Anti-Pluralismus“ und „Anti-Elitarismus“ (Müller: Was ist Populismus?: 93). Populismus im Müllerschen Sinne ist immer ein antagonistisches ‚Wir gegen Sie‘, die Gegenüberstellung eines „moralisch reinen, homogenen Volkes“ und einer „unmoralisch, korrupten parasitären Elite“ (ebd). Manow bezweifelt stark, dass Populismus ausschließlich identitätspolitisch bzw. kulturalistisch zu erklären sei. So könnten die Schweden-DemokratInnen ja nicht ‚von Natur aus‘ fremdenfeindlicher sein als beispielsweise die PodemoswählerInnen in Spanien (vgl. Politischer Populismus als Ausdruck von Identitätspolitik. Über einen ökonomischen Ursachenkomplex, in: Aus Politik und Zeitgeschichte). Müller und auch der ähnlich argumentierende Andreas Reckwitz („Kulturalisierung der Politik“) würden die Folgen des Populismus fälschlicherweise als deren Ursachen begreifen und insgesamt zu viel Moral und zu wenig politökonomische Analyse anführen: „Hier leidet die Analyse darunter, dass die Interpretation des Populismus aus der Perspektive jener Eliten stattfindet, die von Bürgern als Problem diagnostiziert werden.“ (Manow 2018: 31)

Der zweite Erklärungsansatz begreift populistische WählerInnen hauptsächlich als abgehängte Gruppe eines unaufhaltsamen globalen Wandlungsprozesses. Soziale Umbrüche, strukturelle Veränderungen und wirtschaftliche Modernisierungsschübe würden bei davon negativ Betroffenen („Arbeitsmarktoutsider“) rechtspopulistische Einstellungen schüren (vgl. Decker: Der neue Rechtspopulismus). Manow sieht diesen Ansatz empirisch nicht bestätigt, ist damit in seiner Erkenntnis allerdings längst nicht mehr allein. Die Gleichsetzung von rechtspopulistischen WählerInnnen mit GlobalisierungsverliererInnen ist eine veraltete und bereits vielfach widersprochene Annahme. Es sind nicht allein die ökonomisch Marginalisierten und sozial Exkludierten, die heutzutage rechtspopulistisch wählen. „Die wirklich Abgehängten, das neue Prekariat“ (72) würden oft gar nicht mehr wählen gehen, sodass die besagte These eher Wahlenthaltung und nicht populistischen Protest erklären könne. Außerdem ist die Art der „individuellen Datenerhebung“ (73), die Fokussierung auf Einzelphänomene, nach Manow unzureichend für die Erklärung des Populismusphänomens. Sie ziehe nicht in Betracht, dass populistische WählerInnen in anderen Staaten jeweils anders wählen würden (vgl. Politischer Populismus als Ausdruck von Identitätspolitik. Über einen ökonomischen Ursachenkomplex, in: Aus Politik und Zeitgeschichte ).

Ein dritter Erklärungsansatz führt eine kulturelle Spaltungslinie zwischen BefürworterInnen einer lokalen, nationalen Identität – den sogenannten KommunitaristInnen – und GlobalisierungsprofiteurInnen – den sogenannten KosmopolitInnen – an. Grob gesprochen ist die erste Gruppe eher gegen Globalisierung, Migration und suprastaatliches politisches Handeln, die zweite Gruppe, die der ‚Weltbürger‘, eher für offene Grenzen und das Eintreten für universale Menschenrechte. Manow bemerkt, dass auch dieser Erklärungsansatz, ähnlich der von Müller formulierten Form der Identitätspolitik, hauptsächlich kulturell interpretiert wird. Zwar erkennt er die ‚Kulturkampf‘-Begründung in Teilen an (vgl. 34), „dennoch sollte“, laut Manow, „nicht per Definitionem ausgeschlossen werden, dass es spezifische sozioökonomische Lagen gibt, die zu populistischem Protestverhalten führen und auch dessen jeweilige populistische Ausprägung – links oder rechts – erklären.“ (ebd.)

Zu einer politischen Ökonomie des Populismus

Statt eines „moralischen Alleinvertretungsanspruches“ (35) konstatiert Manow in seinem Buch eine komplizierte Verflechtung zwischen den jeweiligen ökonomischen und kulturellen Herausforderungen der europäischen Länder. Durch die Betrachtung der Wahlergebnisse der letzten Jahre zusammen mit der Entwicklung der Verfasstheit von Sozialstaat und Arbeitsmarkt der verschiedenen Länder, eben den jeweiligen Politischen Ökonomien, gelangt er zu seiner These einer ausgeprägten geographischen Varianz des populistischen Phänomens. Aus seinen Analyseergebnissen folgt schließlich die Einteilung in eine Nord/Süd-Dimension und eine Ost/West-Dimension Europas.

Nord- oder Kontinentaleuropa – Manow konzentriert sich vor allem auf die skandinavischen Länder und Deutschland – ist durch einen generösen Wohlfahrtsstaat, einen großzügigen Sozialstaat sowie durch Exportorientiertheit gekennzeichnet. Gleichzeitig reagiert dieser Teil Europas sehr sensibel auf die zunehmende Migration – der Populismus kommt eher von rechts und erscheint als „Reaktion auf Verteilungsfolgen durch den Verlust nationalstaatlicher Souveränität über Grenzen“ (36). Mit Blick auf die AfD in Deutschland, bestätigen Manows Analysen: AfD-WählerInnen finden sich vermehrt in wohlhabenden Regionen des Landes. Zudem kann er anhand seiner Untersuchungen aufzeigen, dass der Aufstieg der Partei in die Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs fällt (76) und ihre Wählerschaft einen erhöhten Stimmanteil von Arbeitsmarktinsidern vermerkt, was der klassischen Modernisierungs- und Globalisierungsverliererthese eindeutig widerspricht (90). Gleichzeitig ließe sich hier kritisch hinterfragen, ob Manow im Umkehrschluss dann auch die These unterstützen würde, dass Migration eine Gefahr für den Sozialstaat darstellt.

Des Weiteren erkennt Manow mit Blick auf Nord- und Kontinentaleuropa einen Zusammenhang zwischen der Arbeitslosigkeit im Jahr 2000 und dem Erfolg der AfD 2017, wohingegen die aktuelle Arbeitslosigkeit sich nicht im Wahlverhalten widerspiegelt (94). Die migrationskritische AfD scheint also eher von Personen zu profitieren, die schon Erfahrung mit oder Angst vor der Arbeitslosigkeit haben und die sich dann in Verbindung mit der ‚sogenannten Flüchtlingskrise‘ in populistischem (Wahl)Verhalten äußert. Manow schreibt dazu: „Die AfD-Wähler leiden an Reminiszenzen – Reminiszenzen, die durch das Geschehen in den Jahren 2015ff. aktualisiert wurden (100).“ Damit bestätigt er Rodriks Beobachtung, dass es hier eher um mögliche Szenarien, denn um gegenwärtig bestehende Tatsachen geht. Gegen die Kommunitaristen vs. Kosmopoliten-These bemerkt er in diesem Zusammenhang außerdem treffend:

Die Antwort auf das Rätsel, weshalb gerade diese „Nicht-Verlierer“ populistische Neigungen an den Tag legen, lautet aus der Perspektive der Theorie der neuen Spaltungslinie also, dass wir vornehmlich eine Gruppe der eher kulturell Entfremdeten als Wählerschaft des Populismus identifizieren können, die mit der Gruppe der eher ökonomisch Benachteiligten nicht deckungsgleich ist. (75)

Im Gegensatz zu Nordeuropa ist der Süden nicht durch einen weltoffenen Arbeitsmarkt bedroht - er ist weniger exportorientiert. Stattdessen liegt sein Fokus auf dem Binnenverkehr, sodass in Manowscher Logik der Staat nicht dazu gezwungen ist, durch den globalen Handel bedingte Arbeitsmarktrisiken auszugleichen (Vgl. 53). Und wo es keinen florierenden Wohlfahrtsstaat gibt, kann Migration nur schwer zu einem sozialpolitischen Verteilungsproblem werden: es gibt schlichtweg fast keine großzügigen Sozialleistungen, die Migranten erwerben könnten, und wenn, dann kommen sie nur einer sehr kleinen, privilegierten Beschäftigtengruppe zu (Manow erklärt dies ausführlich mit der historisch entwickelten partikularistischen Staatenregelung). So erklärt Manow, dass sich der Populismus im Süden eher gegen die neoliberale und austeritäre Geldpolitik der EU richtet, folglich von Links kommt und dabei sowohl von Arbeitsmarkt-Insidern als auch von Outsidern (Vgl. 63). Bei dieser südlichen Form des Populismus geht es nicht um den Verlust nationalstaatlicher Souveränität über Grenzen (s.o.), sondern mit Manow gesprochen ist er eine „Reaktion auf die Verteilungsfolgen durch den Verlust der nationalstaatlichen Souveränität über Geld“ (37).

Für den Osten und für den Westen Europas konstatiert der Politikwissenschaftler, wie schon zuvor für Nord- und Kontinentaleuropa, Migration als problematischen Faktor (vgl. 68). Allerdings führt er dies nicht auf eine Bedrohung des Wohlfahrtsstaates zurück, da dieser weder in den osteuropäischen noch in den angelsächsischen Ländern (maßgeblich England) vorhanden ist. Im ersten Fall, weil es für sie als „große Globalisierungsverlierer“ nach der EU-Osterweiterung ökonomisch nicht möglich ist, im zweiten Fall, weil England, aufgrund historisch gewachsener liberaler und flexibilisierter Arbeitsmarktstrukturen, nicht will (vgl. bpb). Vielmehr hält er in der Ost/West-Dimension eine Differenzierung von Flucht- und Arbeitsmigration für angebracht. Richtet sich der populistische Protest im Norden tendenziell eher gegen Fluchtmigration und geht von Arbeitsmarkt-Insidern aus (s.o.), richtet er sich in Ost- und Westeuropa eher gegen Arbeitsmigration und geht dementsprechend von Arbeitsmarkt-Outsidern aus, die die ArbeitsmigrantInnen als Konkurrenz auffassen. Er sieht also einen Zusammenhang zwischen Arbeitsmigration und Ländern mit gering reguliertem Arbeitsmarkt und zwischen Fluchtmigration und Ländern mit großzügigem Wohlfahrtsstaat.  Im Süden Europas hingegen spielen laut Manow weder Arbeits- noch Fluchtmigration eine bedeutende Rolle (vgl. 67).

Zusammengefasst ist Manows vergleichende Analyse so zu lesen, dass die bisher in der gesellschaftlichen Debatte um das Phänomen des Populismus angeführten Erklärungsansätze unzureichend sind. Weder eine ausschließlich kulturelle Begründung noch die Rückführung auf ein reines Globalisierungsverlierer-Charakteristikum sind für ihn ausschlaggebend, um die geographisch deutlich variierenden Populismen zu erklären. Vielmehr geht es um eine komplizierte Verflechtung zwischen staatlichen Wirtschafts- und Wohlfahrtsstaats-Modellen, außenwirtschaftlicher Einbettung und den unterschiedlichen Herausforderungen der Globalisierung. Zugleich ist es wichtig, Variablen wir Arbeits- und Fluchtmigration und Arbeitsmarkt-Insider und Arbeitsmarkt-Outsider in der Analyse zu berücksichtigen und  nicht zu pauschalisieren. Für Manow geht es um Kontext und nicht um bloße Verallgemeinerungen.

Die Gefahr linker Nostalgie?

Bei seinem Verständnis von Globalisierung verwundert es am Ende des Buches auch wenig, dass er zu der Überzeugung gelangt Populistischer Protest in jedweder Form sei antieuropäisch zu werten und mit nationalstaatlicher Egozentrik zu erklären. Die freie „Bewegung von Geld, Gütern und Personen … findet als Europäisierung eine ihrer intensivsten Ausprägungen. Die europäische Geografie des populistischen Protests lässt sich daher auch als Protest gegen Europa verstehen“, konstatiert er (131). Mit kaum zu überlesender Nostalgie schwelgt er auf den letzten Seiten in Erinnerungen an nationale Grenzen und Währungen und prognostiziert auch gleich das Scheitern der politischen Unterstützung des EU-Projekts (vgl. 138). Leider, ohne selber eine konstruktive Lösung anzuführen. Generell ist unbestreitbar, dass Manow, in klassisch linker Manier, im von den führenden Europäischen Staaten getätschelten Neoliberalismus den größten Feind sieht und es ihm vor allem darum geht, die zunehmende Missachtung der Klassenfrage zu kritisieren (vgl. 30). Dass er dabei selbst zum Teil in eben solchen klischeehaften Verallgemeinerungen zu versinken droht, die er in der bisherigen Debatte so stark kritisiert – er wirft einem Großteil der Sozialwissenschaften vor, das Populismusproblem darin zu sehen, „dass Arbeiter keine Akademiker“ seien und deswegen „weniger Bildung besitzen, was sie weniger weltoffen und tolerant macht“ (32) – scheint ihm nicht bewusst zu sein. Ein bisschen fühlt Mensch sich dabei an Wagenknechtsche EU-Kritik erinnert. Trotzdem ist ihm mit dem Ansatz einer vergleichenden politischen Ökonomie eine differenzierte und vor allem differenziertere Analyse als vielen bisherigen Ansätzen gelungen, die eindeutig herausstellen kann, dass Kulturkonflikte nur die Oberfläche des Populismus-Phänomens abbilden. Nicht zu leugnen bleibt hingegen auch, dass der Kontrast zwischen Nord- und Südeuropa womöglich zu scharf gezogen ist. So erstarken derzeit rechtsradikale Parteien, wie zum Beispiel die VOX in Spanien ( die jüngsten Wahlergebnisse zeigen: mit zehn Prozent wird die ultrarechte VOX Teildes nächsten Parlaments sein) oder die Chrysi Avgi („die goldene Morgendämmerung“) in Griechenland, die im Sinne Manows eindeutig linkspopulistisch geprägte Länder darstellen. Zu kurz kommt leider auch die extrem antifeministische Stoßrichtung vieler rechtspopulistischer Parteien. Trotz proklamierter Vielfalt der Analyse, missachtet Manow diesen Aspekt vollständig.

Manow, Philip: Die politische Ökonomie des Populismus. Berlin: Suhrkamp 2018, 16,- €.

Rodrik, Dani: Das Globalisierungsparadox. Die Demokratie und die Zukunft der Weltwirtschaft. München: C.H.Beck 2011, 24,95 €.

 

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