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Eine Schwarze Perspektive für Deutschland

14.04.2020

Entgegen des Buchtitels „Deutschland Schwarz Weiß“ der Autorin Noah Sow ist das Bild von Rassismus in Deutschland nicht nur schwarz-weiß zu sehen. Vielmehr schafft sie es die Vielschichtigkeit rassistischer Muster und Strukturen in Deutschland aufzudecken und den Leser*innen gleichzeitig das eigene Denken und Verhalten vor Augen zu führen.

Eine Schwarze Perspektive für Deutschland

„Ich stamme ursprünglich aus einem Land, dessen Zivilisationsgrad vor noch nicht allzu langer Zeit von vielen Staaten der westlichen Welt belächelt und interessiert, aber von oben herab zur Kenntnis genommen wurde. Kein Wunder: Ganz in der Nähe gab es beispielsweise noch Stämme, die die Schädel ihrer verstorbenen Kinder bemalten (!) und sammelten.“ Mit diesen einleitenden Sätzen beschreibt die Autorin das Land ihrer eigenen Herkunft. Die Auflösung auf die Frage, um welches unterentwickelte afrikanische Land es sich hierbei wohl handeln mag, ist so wenig intuitiv, dass sie beinahe schon wieder auf der Hand liegt. Es ist natürlich Deutschland. Auf den ersten paar Seiten schon zur Konfrontation mit der eigenen eurozentrischen Weltansicht gezwungen, liest man das Buch mit einer verstärkten Sensibilität für das eigene Verhalten und lässt sich damit auf viele weitere Gedankenspielereien ein.

Die weitverbreitete Annahme, dass Rassismus in Deutschland heutzutage kein großes Problem mehr darstelle, löst Sow damit gleich zu Beginn auf und zerrt die Leser*innen selber auf die Bühne. Dort müssen sie sich dem ehrlichen und zuteilen unangenehmen Wortfeuerwerk Sows stellen. Die Direktheit der Autorin, mit der sie sich an ihre Leserinnen und Leser wendet, mag den ein oder anderen vor den Kopf stoßen. Jedoch ist es nur der Versuch darauf aufmerksam zu machen, dass auch das eigene, mehr oder minder reflektierte, Lesepublikum, die rassistischen Strukturen mit – und dadurch weiterträgt, weil sich gegenüber Schwarzen anders verhalten wird als gegenüber Weißen. Darunter fallen nicht nur Verhaltensweisen, wie nach der ‚ursprünglichen‘ Herkunft Fragen oder die ‚besonderen‘ Haare von Schwarzen Anfassen. Es ergibt sich ein Konglomerat aus einzelnen viel subtileren Faktoren, durch die Schwarzsein keine Normalität, sondern immer etwas anderes darstellt. Sie richtet ihre Vorwürfe aber nicht ausschließlich an die einzelne, das Buch lesende, Person, vielmehr adressiert sie alle, die weiß sind. Diesen Vorstoß mögen viele (Weiße) als unverhohlene Kritik und Affront aufnehmen, dabei ist das immer noch unreflektierte Verhalten von weißen gegenüber Schwarzen Menschen nichts weiter als eine unbestreitbare Tatsache, die endlich Jemand aufschreibt.

Sow postuliert nicht, dass in jedem weißen Menschen ein versteckter Rechtsradikaler stecken würde, bloß darauf wartend, dass Rassismus wieder salonfähig wird. Sie lokalisiert das Problem an anderer Stelle. Es ist nicht der offensichtliche Rassismus, wie er von extremen Gruppen praktiziert wird, auf den sie hinweisen möchte. Dass in jedem Weißen (zu welcher Gruppe ich als Autorin ebenfalls gehöre) rassistische Denkmuster stecken, führt sie nicht auf die Unfähigkeit der Menschen selbst zurück, sondern auf die der Gesellschaft zugrunde liegenden Gefüge. Es hat sich eine Form der Diskriminierung in die Strukturen eingeschlichen, die Rassismus zu einem perpetuum mobile macht, ohne dass der oder die Einzelne groß dazu beisteuern müsste. Struktureller Rassismus – ein Themenfeld, das in Deutschland viel zu wenig Beachtung findet und selbst durch institutionelle und staatliche Versuche, nicht hinreichend an die Öffentlichkeit gerät.

Was es bedeutet in einem weiß-gesehenen Deutschland Schwarz zu sein, ist für alle, die nicht Schwarz sind, nicht nachzuvollziehen. Darum ist es notwendig, sich mit rassistischen Strukturen, und seien sie noch so unterschwellig, auseinanderzusetzen. Es ist die Aufgabe von jedem und jeder Deutschen, das nicht-weiße Deutschland zu erkennen und anzuerkennen; sich die eigenen Privilegien, die dadurch entstehen vor Augen zu führen. People of Colour prägen schließlich ebenso den deutschen Alltag, wie es weiße Menschen tun. Dass diese Erkenntnis sich jedoch noch nicht durchgesetzt hat, spiegelt die Autorin in einigen eindrücklichen Beispielen.

Deutsche Sprache – Rassistische Sprache

Zunächst wirft Sow einen Blick auf die Grundlage allen menschlichen Zusammenlebens: die Sprache. Einige Elemente ziehen sich ihrer Auffassung nach durch die deutsche Sprache, die das Attribut Schwarz ausschließlich negativ auslegen. Schwarzes Schaf, Schwarzfahren, das Spiel Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann, uvm. All diese Äußerungen formen unser Erleben und unsere Einschätzung bezüglich der Farbe Schwarz und damit auch gegenüber Schwarzen Menschen. Ebenso, wie es Versuche gibt, Gendergerechtigkeit in der Sprache zu verankern, ist es notwendig, diese Versuche auch auf diskriminierende, rassistische Äußerungen zu übertragen. So nervig Political Correctness für viele Sprecher*innen sein mag, so groß kann der Einfluss für kommende Generationen sein. Manche mögen kritisieren, dass die genannten Beispiele doch ‚einfach‘ Teilder deutschen Sprache und somit nicht diskriminierend seien. Auf dieselbe Argumentation trifft man im Bereich gendergerechter Sprache sobald es um die Vermeidung des generischen Maskulinums geht. Doch auch das Gegenargument bleibt das gleiche: Sobald sich Menschen durch einen bestimmten Sprachgebrauch diskriminiert fühlen und die Vermeidung der diskriminierenden Formen zu einem inklusiveren Sprachbild führt, ist es notwendig auf einen antirassistischen, gendergerechten Sprachgebrauch zu achten. An dieser Stelle bietet es sich, wenn auch, hinsichtlich der hier diskutierten Problematik, unter Vorbehalt, an, einen Vertreter der durch Sow getauften „weißen europäischen Männerphilosophie“ heranzuziehen und Wittgenstein zu rezitieren, dass die Bedeutung der Sprache sich durch ihren Gebrauch konstituiert (Wittgenstein 1984: §43).

Öffentlicher Rassismus

Mit weiteren Beispielen öffnet Sow den Blick auf die Medienwelt und zeigt: In der Öffentlichkeit und im Medienalltag wird sich ebenso unkritisch unterschwelliger Rassismen bedient, die insbesondere das Verhalten und die Meinungen junger Menschen prägen. Sie führt Werbekampagnen an, die arme Kinder mit Schwarz-Sein assoziieren, ‚gut gemeinte‘ Spendenaufrufe, die mehr oder minder unterschwellige Rassismen bedienen und verbreiten (nur ein Beispiel von vielen: UNICEF), Titelbilder mit rassistischen Implikationen (Spiegel) etc. Mit dem Unternehmen true fruits, die ihre dunklen Säfte mit „Unser Quotenschwarzer“ bewerben und sich mit dem Argument kritisch angehauchter Satire rechtfertigen, nehmen wir an dieser Stelle noch ein aktuelles Beispiel in Sows Liste auf. Doch selbst eine ‚gut gemeinte‘ oder kritische Konnotation hinter diesen Diskriminierung fördernden Werbekampagnen, ändert die Implikationen der Aussagen nicht und gilt es daher zu vermeiden.

Wird das Thema Rassismus in den Medien angesprochen und diskutiert, bekommen aber nicht diejenigen eine öffentliche Stimme, die betroffen sind. Viel öfter als die Opfer kommen die weißen, Rassismus mittragenden Akteure zu Wort, wie es an dem Beispiel von der Zusammensetzung von Talkshow-Runden prägnant von Sow illustriert wird. Somit misslingt auch dort ein von ihr an sich positiver betrachteter Impuls und ist eine weitere Schraube in dem sich stetig weiterdrehenden rassistischen Räderwerk.

Überwachen und Strafe    

Dass die Opfer von Diskriminierung oft keine Öffentlichkeit bekommen, manifestiert sich unter anderem auch in der staatlichen Gewalt. Polizeigewalt gegen Schwarze und People of Colour sowie Racial Profiling werden erst langsam als Probleme anerkannt. In eindrücklichen Einzelfällen, die die Autorin beschreibt, wird sich um eine Aufklärung nur bedingt bemüht und wenn, dann nur selten zugunsten von People of Colour. Selbiges lässt sich leider mit unzähligen weiteren aktuellen Geschehnissen ergänzen. Rassistische Denkmuster beeinflussen nicht nur das Verhalten von menschlichen Polizist*innen, sondern auch das von zunehmend mehr eingesetzten Maschinen und Algorithmen. Diese Tatsache wurde in den letzten zehn Jahren mit einigen traurigen Beispielen belegt, wie unter anderem durch automatisiertes Racial Profiling. Auf diese Problematik wies der Wissenschaftler Achille Mbembe, u.a. Autor von Kritik der Schwarzen Vernunft, bei einem Vortrag zur Albertus-Magnus Professur in Köln mit aller Deutlichkeit hin und machte auf die Gefahren aufmerksam, die diese automatisierten Prozesse bergen können. Auch die Politikwissenschaftlerin Lorena Jaume-Palasí illustriert dieses Risiko in einem Beitrag des Deutschlandfunks an dem Beispiel von Seifenspendern. Die in den Seifenspendern implementierte Infrarot-Standard-Technologie erkannte keine Schwarzen Hände, da sie von weißen auf weiße Hände programmiert war. Dieser Vorfall steht als ein exemplarischer Beweis für die diskriminierenden Auswirkungen, die Technik und Maschinen haben können, wenn sie durch eine weiße Brille entwickelt werden. Dass Seifenspender an sich nicht die Gefahr darstellen, sollte hier nicht betont werden müssen. Welche Folgen ein solcher Fehler in anderen Bereichen, wie in der Technologie von selbstfahrenden Autos, möglicherweise nach sich zieht, kann hingegen nicht oft genug thematisiert und problematisiert werden. Gesehen wird diese potentielle Gefährdung im aktuellen Diskurs nicht, im Gegenteil: wie in so vielen Fällen werden die Augen verschlossen und der Fakt, dass „Technologie […] für Diskriminierung anfällig [ist]“, beiseitegelassen.          

Weiße Rassismuskritik

Positiv hebt Sow hervor, dass es, nicht nur in Deutschland, immer mehr Bestrebungen gibt, sich mit Rassismus und Diskriminierung auseinanderzusetzen und sie zu reduzieren. Dass hierbei der entscheidende Fehler begangen wird, den Diskurs vorrangig weißen Menschen zu überlassen, deckt sie aus einer Metaperspektive auf die Antirassismus- und Antidiskriminierungsversuche von akademischen, staatlichen und öffentlichen Institutionen auf. Rassismusforschung wird hauptsächlich von weißen Akademiker(*inne)n betrieben. Somit wird im Diskurs über Diskriminierung selbst diskriminiert. Die Konsequenz daraus ist ebenso simpel wie vernichtend: „Jedes Projekt über eine diskriminierte Gruppe, das ohne Beteiligung, Verfügungsmacht, gleiche Anerkennung und gleiche Entlohnung von Angehörigen ebenjener Gruppe organisiert wurde, ist kaputt“. Damit überträgt Sow ein auch auf die heutige Zeit sehr zutreffendes Statement aus der damaligen südafrikanischen Rechtsbewegung: „Nothing about us without us is for us“.  Der darauffolgende Vorwurf an eben diese weißen Akademiker*innen und Rassismusbekämpfer*innen, dass diese das Thema als Image- und Karrierepflege instrumentalisieren, mag dennoch ein wenig zu weit gegriffen sein und der Antidiskriminierungsarbeit und –forschung zuteilen Unrecht tun. Festzuhalten ist: Die Hierarchien in Deutschland sind vorwiegend weiß (und männlich) geprägt und müssen für eine gleichberechtigte Verteilung de- und neukonstruiert werden.

Der sich daraus ergebende Handlungsbedarf eines jeden einzelnen ist auch der Grund für die zeitlose Aktualität von Sows Buch. 2009 erschienen, brachte sie 2018 eine aktualisierte Version heraus, in der sie Feinheiten sowohl sprachlich als auch inhaltlich angepasst hat. Sie schreibt das Buch nun unter anderem in gendergerechter Sprache. Sie ‚wagte‘ diesen Schritt unter der 2009 angekündigten Prämisse, dass die Gesellschaft in zehn Jahren soweit sei und gendergerechte Sprache keine Zumutung mehr wäre. Ob die Gesellschaft wirklich so viel weiter ist, sei dahingestellt, der Vorstoß dennoch das einzig richtige, dieses Ziel zu erreichen.

Dass sich bezüglich Rassismus und Diskriminierung in diesen zehn Jahren so wenig getan hat, ist ein Zeichen für die nicht sinkende Relevanz der Thematisierung auf allen Ebenen. Umso wichtiger, dass es dieses Buch, was manch einen durch seine stechende Polemik abschrecken mag – aber nicht sollte, gibt. Sow verfasste mit Deutschland Schwarz Weiß schließlich den ersten deutschen Ratgeber zum Weiß-Sein.

Sow, Noah: Deutschland Schwarz Weiß – Der alltägliche Rassismus. BoD, 2018, 12,95,- €.

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