Ein Komiker und der Stand der ukrainischen Demokratie

27.04.2019

Mit dem Gewinner der Stichwahl um das Präsidentschaftsamt, Wolodymyr Selenskyj, wurde ein absoluter Politikaußenseiter mit einem beeindruckenden Stimmanteil von 73 Prozent zum neuen ukrainischen Präsidenten gewählt. Wie an verschiedenen Stellen zurecht bemerkt wurde, stellt ein solches Ereignis im postsowjetischen Raum die Ausnahme dar.

Ein Komiker und der Stand der ukrainischen Demokratie
Quelle: privat

Von vielen Seiten wurde außerdem betont, dass es sich bei diesen Wahlen um die demokratischsten und fairsten in der Geschichte der Ukraine seit dem Ende der Sowjetunion handle. Nichtsdestotrotz bleiben einige erhebliche Mängel bestehen, wie der Zwischenbericht der OSZE-Wahlkommission nahelegt und die hier nicht unerwähnt bleiben sollten: zu vermerken sind ein erheblicher Anstieg von Falschnachrichten in den Sozialen Medien, die Manipulierung von Umfragewerten und vor allem eine erhebliche Asymmetrie in der Präsenz der KandidatInnen in den weitestgehend von Oligarchen kontrollierten Fernsehsendern, dem mit großen Abstand primären Informationsmedium der UkrainerInnen.

Ohne Frage, vieles lief bei dieser Präsidentschaftswahl besser als in der Vergangenheit: So gab es etwa das erste Mal seit 2004 wieder eine, wenn auch sehr bizarre[, öffentliche Debatte zwischen den beiden Spitzenkandidaten. Der Wahlverlierer Poroshenko erkannte das Ergebnis und die Legitimität der Wahl umgehend an. Der Urnengang nur von wenigen Zwischenfällen beeinträchtigt und der Wahlausgang offen. Trotzdem sollte sich deswegen nicht dazu verstiegen werden, die beiden Wahlrunden um das Präsidentenamt als das erfolgreiche Ergebnis eines Demokratietests zu betrachten, wie aktuell viele BeobachterInnen meinen. Tatsächlich war die Wahl von Selenskyj nur eine Abwahl des alten Präsidenten, dessen Zustimmungswerte sich im Keller befanden. Selenskyj führte einen Wahlkampf ohne konkretes Programm, ohne konkrete Inhalte, ohne echte Agenda eine geeignete Projektionsfläche für frustrierte WählerInnen. Zu wenigen Themen bezog er im Laufe des Wahlkampfs wirklich Stellung und in geopolitischen Fragen scheint er sich außerdem nicht wirklich von seinem Amtsvorgänger zu unterscheiden. Eine Protestwahl also – die unglaubliche 73 Prozent der Stimmen einfing. Das sagt viel über den bisherigen Zustand der ukrainischen Demokratie aus, aber nur wenig über ihre Zukunft.

Folgt man verschiedenen Umfragen, ist neben der Beendigung des Krieges in der Ostukraine die Korruptionsbekämpfung die höchste Priorität der ukrainischen WählerInnen. Auf diesem Feld enttäuschte Poroshenko. Selenskyj wiederum stilisiert sich als Anti-Establishment-Kandidat und kündigte an, drastisch gegen Korruption und Amtsmissbrauch vorzugehen – ganz nach dem Motto seiner Fernsehserie und nun auch Partei ein „Diener des Volkes“. Er möchte den amtierenden Generalstaatsanwalt entlassen und die Immunität von Abgeordneten und RichterInnen aufheben lassen. Wie glaubwürdig diese Selbstdarstellung als volksnaher und unabhängiger Kandidat wirklich ist, kann bezweifelt werden. Immerhin verdankt er seinen Wahlerfolg nicht zuletzt auch dem berüchtigten Oligarchen Ihor Kolomoisky. Nicht nur lief seine Comedy-Serie auf Kolomoiskys Sender 1+1, sondern er scheint auch engere persönliche Verbindungen zu dem Oligarchen zu unterhalten, als er zugeben möchte. So wurde erst unlängst aufgedeckt, dass Selensky Kolomoisky allein seit 2017 14-mal in dessen Villen in der Schweiz und in Israel besuchte. Statt der Neujahrsansprache des Präsidenten übertrug 1+1 in der Silvesternacht die Erklärung der Kandidatur von Selensky und Kolomoiskys Anwalt Andriy Bohdan spielte eine große Rolle in Selenskys Wahlkampfteam. Vor diesem Hintergrund scheint es nicht unwahrscheinlich, dass Kolomoisky einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Präsidentschaft des Politikneulings ausüben wird.

Sollte Selensky jedoch wider Erwarten auf einen substantiellen Politikwechsel einschwenken, kann sich letztlich der Zwischenwahleffekt als Bremsblock erweisen. Denn noch stellt Poroshenkos Partei die Mehrheit im Parlament und ist in der Lage Initiativen des Präsidenten zu blockieren. Sollte Selenskyj im Laufe des Jahres keine Reformen auf den Weg bringen oder unpopuläre Kompromisse eingehen, erscheint es unwahrscheinlich, dass seine Partei eine Mehrheit bei den Parlamentswahlen im Oktober erringen würde. Mit laut Umfragen rund 26 Prozent wäre „Diener des Volkes“ derzeit zwar stärkste Kraft, aber gleichzeitig schon jetzt auf eine breite Koalition angewiesen. Insgesamt sollte man also nicht zu viel von dem personellen Wechsel an der Spitze der ukrainischen Demokratie erwarten. Dass was manchem als Zäsur und Neuanfang erscheinen mag, hält diesen Erwartungen bei näherer Betrachtung nicht stand.

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