Die Republik Moldau nach der Regierungskrise

22.06.2019

Mit dem Rücktritt der Regierung von Pavel Filip scheint die Regierungs- und Verfassungskrise in der Republik Moldau beendet zu sein. Nach Jahren des Stillstands, hatte das kleine Land zwischen der Ukraine und Rumänien turbulente Tage erlebt. Die Krise sagt einiges über die aktuellen Verhältnisse des Landes aus.

Die Republik Moldau nach der Regierungskrise
Quelle: privat

Auf die neue Regierung unter Premierministerin Maia Sandu warten enorme politische Herausforderungen. Seit Jahren wurde das Land von dem Oligarchen und Strippenzieher Vladimir Plahotniuc und seiner Demokratischen Partei (PDM) systematisch ausgebeutet. Der Regierungswechsel birgt somit große Chancen, aber auch schwer abschätzbare Risiken.

Der Weg in die Regierungskrise

Die Parlamentswahlen im Februar führten zu unklaren Mehrheitsverhältnissen. Die Formierung einer Regierungskoalition schien immer unwahrscheinlicher und Neuwahlen immer wahrscheinlicher zu werden. Der Durchbruch kam Anfang Juli – nach einem Besuch von Repräsentanten Russlands, der EU und den USA, die in seltener Einigkeit einen neuen Anlauf in den Koalitionsgesprächen forderten. Nur wenige Tage später formten das Anti-Korruptions-Parteienbündnis „ACUM“ (rum.: „Jetzt“) und die pro-russische Sozialistische Partei (PSRM) eine Koalition. Die Demokratische Partei (PDM), die bis dahin die Regierung gestellt hatte, weigerte sich jedoch abzutreten und der PDM-kontrollierte Verfassungsgerichtshof urteilte nach der ACUM-PSRM-Regierungsbildung umgehend: Die neue Regierung sei nicht rechtmäßig, weil die 90-Tage-Frist einer Regierungsbildung überschritten worden sei. Präsident Igor Dodon (PSRM) hätte die neue Regierung nicht vereidigen dürfen und werde deshalb suspendiert. An seiner Stelle beauftragte das Gericht den ehemaligen Premierminister Pavel Filip (PDM) das Amt des Präsidenten kommissarisch auszuüben, welcher daraufhin sofort Neuwahlen für den 6. September 2019 ansetzte. In der Zwischenzeit sollte die alte PDM-Regierung weiterhin ihr Amt ausüben. Präsident Dodon und die neu vereidigte Regierung Sandu weigerten sich jedoch die Entscheidung des Gerichts – aufgrund der offenkundigen Beeinflussung durch die PDM – zu akzeptieren. So wurde nur einen Tag nach dem vermeintlichen Ende der verfahrenen Situation, aus der Moldau Europas Venezuela: zwei Präsidenten und zwei Regierung und keine Seite bereit der anderen das Feld zu überlassen. Allerdings mit einem entscheidenden Unterschied: Nach der Suspendierung des gewählten Präsidenten durch das oberste Gericht, signalisierte kein einziges Land Unterstützung für das alte Regime.

Der Weg aus der Regierungskrise

Traditionell spielt die Haltung mächtiger internationaler Partner eine große Rolle in der Republik Moldau. Gleich zu Beginn der Krise hatten die beiden wichtigsten Akteure in der Region, die EU und Russland, in seltener Einigkeit ihre Unterstützung der neuen Regierung zugesichert. Die sozialdemokratische Regierung des einflussreichen Nachbarlandes Rumänien hatte sich dank fragwürdiger Verbindungen zwischen rumänischen Sozialdemokraten und moldauischen Demokraten zunächst auf die Seite der alten Regierung gestellt, schwenkte aber wenig später auf die Linie der internationalen Gemeinschaft um. Die USA hielten sich zurück und riefen zum politischen Dialog auf. In einem absurd anmutenden Versuch die USA doch noch für ihre Seite zu gewinnen, entschied die PDM-Regierung in geheimer Sitzung, die moldauische Botschaft in Israel von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen, allerdings ohne die erwünschte Wirkung zu erreichen. Schließlich bezeichnete der Generalsekretär des Europarats, Thorbjørn Jagland, die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs als „schwer nachvollziehbar“ und „willkürlich“ und wies die mit Rechtstaatlichkeitsfragen betraute Venedig-Kommission an, die Ereignisse in der Moldau zu begutachten. Anders als bei anderen Vorgängen dieser Art, zeigte die internationale Gemeinschaft in Bezug auf die Ereignisse in der Moldau Geschlossenheit und der Druck auf die PDM-Regierung stieg immens.

Quelle: privat

Gleichzeitig wehrte sich die PDM mit allen Mitteln gegen den Machtwechsel. Das erste Mal seit Jahren fand sich die Partei in einer Situation wieder, die sie nicht vollständig kontrollierte. PDM-Vorsitzender Plahotniuc lies hunderte MoldauerInnen mit Bussen in die Hauptstadt Chisinau bringen, um Demonstrationen für die alte Regierung zu simulieren. Eine bewährte Maßnahme – bei der die bittere Armut der Landbevölkerung ausgenutzt wird, indem man ihr Engagement mit ein paar moldauischen Lei entlohnt. Außerdem kontrolliert Plahotniuc fünf der sechs moldauischen Fernsehsender – der mit Abstand wichtigsten Informationsquelle der Bevölkerung – auf denen er eine großangelegte Desinformations- und Schmutzkampagne gegen ACUM und PSRM startete. Insbesondere wurde versucht alte Ängste vor dem russischen Interventionismus zu schüren. So wird behauptet, die PSRM würde ein altes Projekt, das sogenannte „Kozak-Memorandum“ aus der politischen Mottenkiste holen, welches Russland großen Einfluss auf innere Angelegenheiten Moldaus ermöglichen würde. Schließlich eröffnete der ebenfalls PDM-kontrollierte Generalstaatsanwalt ein Strafverfahren gegen Präsident Dodon, wegen vermeintlicher illegaler ausländischer Parteienfinanzierung.

Knapp eine Woche lang, befand sich die Moldau in diesem Schwebezustand, indem sich keine der Konfliktparteien durchzusetzen vermochte, bis sich die Ereignisse begannen zu überschlagen: Erst lenkte PDM-Regierung ein. Unter dem Druck der internationalen Gemeinschaft verkündete Pavel Filip den Rückzug der Regierung. Kurz darauf erklärte auch der Verfassungsgerichtshof, dass er sein Urteil revidiere und die Legalität der neuen Regierung anerkenne sowie die Suspendierung von Präsident Dodon aufhebe. Am nächsten Tag wurde bekannt, dass Plahotniuc und andere Personen aus seinem Zirkel das Land verlassen hatten, weil sie um ihre Sicherheit fürchteten. Damit steht der PSRM-ACUM-Regierung augenscheinlich nichts mehr im Wege.

Und jetzt?

Welchen Kurs die neue Regierung einschlagen wird und wie erfolgreich ihre Vorhaben sein werden, ist zurzeit schwer vorauszusagen. Denn das Bündnis von pro-europäischen Reformern einerseits und pro-russischen Sozialisten anderseits ist nicht viel mehr als ein Zweckbündnis – dessen einziger gemeinsamer Nenner der Sturz der PDM war. Nachdem ACUM das Amt des Parlamentspräsidenten der PSRM überließ, akzeptierte diese im Gegenzug Maia Sandu als Premierministerin und sagte zu das Anti-Oligarchie-Reformpaket von ACUM mitzutragen. Es bleibt abzuwarten, wie langlebig diese Übereinkunft sein wird.

 

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Das von einer ökonomischen Krise, drückender Armut und allgegenwärtigen Korruption gebeutelte Land benötigt dringend einen Politikwechsel und es spricht viel dafür, dass das ACUM-Parteienbündnis es mit ihrem Reformprogramm ernst meint. So gehört Sandu nicht zum politischen Establishment und arbeitete lange Zeit außerhalb Moldaus, unter anderem für die Weltbank in Washington. Außerdem haben sich viele VertreterInnen der Zivilgesellschaft in den vergangenen Jahren ihrem Bündnis angeschlossen. Sie bilden einen Pool an ExpertInnen mit NGO-Hintergrund, die sich seit Jahren für einen Politikwechsel einsetzen und nun in Regierungsämter berufen werden. Im Zentrum des Programms steht die kompromisslose Bekämpfung von Korruption. Der Rechtsstaat soll ausgebaut werden und die Wirtschaft soll von der Dominanz klientilistischer Netzwerke und Monopole befreit werden. In Bezug auf die Außenpolitik sollen vor allem die Reformvorgaben im Rahmen des Assoziierungsabkommens mit der EU zügig umgesetzt werden.

Aber auch personell wird dieses Programm in der neuen Regierung stark vertreten sein: Von den insgesamt zehn Ministerposten gingen acht an ACUM, darunter die Schlüsselressorts für Außenpolitik, Inneres, Wirtschaft, Finanzen sowie Justiz. Viele der neuen MinisterInnen sind ExpertInnen auf ihrem Gebiet, die in der moldauischen Diaspora rekrutiert wurden, so wie beispielsweise Außenminister Nicu Popescu, Programm-Direktor beim Thinktank European Council on Foreign Relations (ECFR) in Paris oder Finanzministerin Natalia Gavrilita, Direktorin beim Global Innovation Fund in London.

Fallstricke der neuen Regierung

Die neue Regierung stellt für das Land eine große Chance dar, jedoch lassen sich auch viele Hindernisse und Unwägbarkeiten identifizieren, die mögliche Fortschritte verhindern oder zumindest beeinträchtigen könnten. Die PDM ist nicht mehr an der Regierung, aber die Strukturen, Netzwerke und Abhängigkeiten, die die PDM in ihrem Jahrzehnt an der Macht aufbauen konnte, werden nicht über Nacht verschwinden.  Das alte System aus Korruption und Klientelismus hat viel Schaden angerichtet, aber auch viele Profiteure in wichtigen Positionen in Politik und Wirtschaft hervorgebracht, die ein großes Interesse daran haben, den Status Quo zu erhalten. Schließlich werden die von Plahotniuc kontrollierten Medien, wie beispielsweise die Fernsehsender Puplika TV oder Prime TV, nicht aufhören, Schmutz- und Desinformationskampagnen zu produzieren.

Und auch der Koalitionspartner, die PSRM, könnte sich als ein trojanisches Pferd in der Regierung entpuppen, schließlich besteht sie größtenteils aus politischen Widergängern der 2009 aus dem Amt gejagten Kommunistischen Partei. Dazu zählen beispielsweise der Präsident Dodon (formal parteilos) und die neue Parlamentspräsidentin Zinaida Greceanîi. Die Integrität dieser Personen wurde von BeobachterInnen schon häufiger infrage gestellt und einige sind gar der Meinung, dass auch Dodon ein Teil von Plahotniucs Netzwerk ist. Gleichzeitig orientiert sich die PSRM stark an Russland und erhält von dort große Unterstützung. Laut dem Politikwissenschaftler Denis Cenusa, war die befürwortende Position Russlands ausschlaggebend für die Zustimmung der PSRM zu weiteren Koalitionsverhandlungen mit dem ACUM-Block. Es kann jedoch stark bezweifelt werden, dass Russland plötzlich ein Interesse daran entwickelt hat, die Reformbemühungen in der Moldau und die Umsetzung des EU-Assoziierungsabkommen zu unterstützen. Vielmehr scheint Russland darauf zu wetten, dass das Machtvakuum, welches die PDM hinterlässt, durch die russlandfreundliche PSRM gefüllt werde. Und tatsächlich: zwar besteht fast die gesamte Regierung aus VertreterInnen von ACUM, jedoch ist die PSRM nach wie vor die stärkste Partei der Moldau. Sie verfügt über die meisten Mandate im Parlament und eine wesentlich breitere Mitgliederbasis als ACUM. Sie spricht insbesondere die ältere, arme und sowjetnostalgische Bevölkerung an, deren Anteil immer größer wird, während die Jungen und gut Ausgebildeten – die WählerInnen von ACUM – das Land auf der Suche nach einer besseren Zukunft verlassen. Schließlich kann die PSRM genau an die informellen Strukturen anknüpfen, die sich die Sandu-Regierung vorgenommen hat zu bekämpfen.

Der Ausgang dieser Entwicklungen ist nicht absehbar und das Reformvorhaben von ACUM verdient Unterstützung. Die Europäische Union muss sich an dieser Stelle ihrer Verantwortung bewusstwerden, hat sie doch mit ihrer eindeutigen Reaktion maßgeblich zum Fall der PDM-Regierung beigetragen. Die demokratischen und pro-europäischen Kräfte in dem kleinen – viel zu oft vergessenen – Land werden in der nächsten Zeit auf die enge Zusammenarbeit mit der EU angewiesen sein. So sollten die zurzeit eingefrorenen Hilfsgelder wieder fließen, um die nötigen Reformvorhaben zu bewältigen. Dabei muss die EU darauf achten, dass das Geld wirklich seinem Zweck dient und nicht wieder in die Taschen eines Oligarchen wandert. Für die Moldau steht in einer solch volatilen Situation viel auf dem Spiel. Es wäre ein großer Fehler und eine vertane Chance für die EU, der Moldau nicht die Aufmerksamkeit zu widmen, die sie aktuell nötig hat.

 

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